Den Friedhof als gestalteten Ort sehen

Interview der ARGE Urnenhain mit Dr. Martina Gelsinger
Im Rahmen von Praxistagen informiert das Kunstreferat der Diözese Linz MitarbeiterInnen der Pfarren und Friedhofsverwaltungen sowie gestalterisch im Umfeld des Friedhofs Tätige über das Thema Urnenbestattung und Urnengrab. Über Zielsetzung und Inhalte spricht Dr.in Martina Gelsinger im Interview mit ARGE Urnenhain.
 

ARGE Urnenhain: Sie haben den Praxistag „Urnengräber – Friedhofsanlagen“ initiiert. Worum geht es dabei?

Dr. Martina Gelsinger: Die Praxistage sind Teil des Bildungsauftrags des Kunstreferats der Diözese Linz und bringen MitarbeiterInnen von Pfarren mit ExpertInnen in Verbindung. In Vorträgen und Exkursionen greifen wir die unterschiedlichsten Fragestellungen aus den Pfarren auf. In der praktischen Arbeit der Pfarren ist hier ein großer Informationsbedarf zu orten. Nach den Praxistagen 2011 und 2012 haben wir den dritten Friedhof-Praxistag am 4. Oktober 2014 direkt auf dem Linzer Barbarafriedhof veranstaltet. Dabei informierten sich rund 50 Teilnehmer über das Thema Urnenbestattung im Kontext christlicher Bestattungskultur. Erörtert wurden theologische und liturgische Aspekte der Urnenbestattung, aber auch landschaftsplanerische Fragen bei Urnenanlagen und juristische Aspekte der Urnenbeisetzung.

ARGE Urnenhain: Mit welchen Fragestellungen befassen Sie sich?

Dr. Martina Gelsinger: Der Praxistag 2014 gab einerseits inhaltliche Impulse aus theologischem Blickwinkel zum Umgang mit der Asche Verstorbener und zum Ritual der Urnenbeisetzung, thematisierte aber auch die gestalterischen Möglichkeiten der Grabstelle als "Ruhestätte". Weitere Aspekte waren rechtliche Fragen rund um die Gestaltung des Friedhofs und den Umgang mit der Urne. Ausschlaggebend war ein Impuls des ehemaligen Verwalters des Barbarafriedhofs, Günther Walch. Die Pfarren und Friedhofsverwaltungen sehen sich mit einem zunehmenden Bedarf an Flächen und Grabstätten für Urnenbestattungen konfrontiert. Ebenso besteht Informationsbedarf nach einer umfangreichen und frühzeitigen Aufklärung und Beratung der Angehörigen zum Thema Urnengrab und die Möglichkeiten individueller Gestaltungsmöglichkeiten.

ARGE Urnenhain: Waren auch Urnenwände Thema des Praxistages?

Dr. Martina Gelsinger: Ein Friedhof ist eine bauliche, aber auch eine kulturelle Angelegenheit. Sobald es um einzelne „öffentliche“ Gedenkstätten geht, zum Beispiel um Anlagen für früh verstorbene Kinder, ist das Kunstreferat der Diözese involviert. Um bei den Urnenbeisetzungen zu bleiben: Noch bis vor 10 Jahren reagierten die Friedhofsverwaltungen auf die Nachfrage nach Urnenbeisetzungen mit der Aufstellung von Urnenwänden. Nicht weil man das als die beste Lösung sah, sondern weil es zum damaligen Zeitpunkt als das einzige bekannte Angebot galt.

ARGE Urnenhain: Wie denkt man heute darüber?

Dr. Martina Gelsinger: Aus vielen Beispielen wissen wir, dass mit einer Urnenwand nur scheinbar eine letzte Ruhestätte geschaffen wird. Betrachtet man das an einer einzelnen Nische, gilt das nur für den Zeitraum der Belegungszeit. Spätestens nach Ende der Belegungsfrist muss ein Friedhofsbetreiber angemessene Lösungen für den Verbleib der Urne und Asche finden. Angesichts der Verantwortung der Kirche als Kulturträgerin und als Institution, die im Rahmen der Seelsorge auch für zukünftige Generationen Trauerrituale und Segenshandlungen anbietet, ist eine Urnenwand keine adäquate Lösung.

ARGE Urnenhain: Welche gesellschaftliche Funktion hat ein Friedhof?

Dr. Martina Gelsinger: Um das zu beantworten, stellen wir uns immer wieder die Frage, was der Auftrag dieses Ortes ist und wie er sich als komplexes Gesamtgebilde verhält. Grundsätzlich gehen wir aus vom Auftrag eines Friedhofs als Ort des Abschieds, des Gedenkens und der Erinnerung, als Ort der Gemeinschaft der Lebenden und der Toten, ganz umfassend auch als öffentlicher, kultureller Ort.

ARGE Urnenhain: Welche Position nehmen Sie gegenüber Bestattungsformen wie Friedwald ein?

Dr. Martina Gelsinger: Waldbestattungen und ähnliche Bestattungsarten mögen wegen der  naturbelassenen Romantik einen gewissen Reiz ausüben. Als Angehöriger muss man sich aber fragen, ob man den Wald als Quelle der Ruhe und Entspannung sieht oder tatsächlich als den angemessenen Ort für das Ritual des Abschiednehmens und die anschließende Trauerbewältigung sieht. Eine Begräbnisstätte sollte immer namentlich gekennzeichnet sein, denn mit dem Namen wird auch die Erinnerung wachgehalten. 

ARGE Urnenhain: Worauf kommt es beim Praxistag an?

Dr. Martina Gelsinger: Anliegen der Praxistage ist, den Teilnehmern einen gewissen Rahmen zur Orientierung in ihrer praktischen Arbeit zu geben, aber auch zu einem  kritischen Bewusstsein anzuregen. Wir sprechen das Thema Friedhof umfassend an und legen die Vorträge interdisziplinär an. Dabei konzentrieren wir uns auf Referenten, die keine wirtschaftlichen Interessen vertreten. Im Vordergrund steht stets die christliche Bestattungskultur, in der die Kirche eine jahrhundertelange Tradition besitzt. Bei der Rückbesinnung auf bewährte Trauerrituale wird immer eine theologische und spirituelle Ebene angesprochen. Ebenso behandeln wir gestalterische Ansätze rund um die Grabstätte.

ARGE Urnenhain: Welche Kriterien gelten für die Grabstelle?

Dr. Martina Gelsinger: Die Bestattung Toter ist eines der sieben Werke der Barmherzigkeit. Wegen der Tradition der Körperbestattung sind Friedhöfe ursprünglich in einem auf Menschengröße ausgerichteten Raster angelegt. Die einzelne Grabstelle diente als Ort der Trauerbekundung und als Ort der Stille. Bei der Friedhofsplanung sollten wir daher dieses geschichtliche Raster beachten. Neben der individuellen Grabstätte ist der Friedhof gesamtheitlich als gestalteter Ort zu sehen, für den Friedhofsträger Verantwortung tragen. Hier erfüllt der Steinmetz eine wichtige Rolle gemeinsam mit anderen für den Friedhof Tätigen, mit Theologen, Kulturwissenschaftlern und auch mit Landschaftsplanern. Die Friedhofsordnung sollte das Gesamtbild vorgeben, aber nicht die individuelle Entfaltung an der einzelnen Grabstätte beeinträchtigen. Bei der Gestaltung der Grabzeichen ist aber nicht kurzlebigen Trends, sondern einer soliden, handwerklich qualitätvollen Bearbeitung der Vorzug zu geben.  

ARGE Urnenhain: Welchen Beitrag hierfür können Steinmetze leisten?

Dr. Martina Gelsinger: Hier sehe ich noch ein großes Potential. In Beratungen kann der Steinmetz beispielsweise ansprechen, unter welchen Bedingungen Grabsteine hergestellt werden. Hier könnte der Steinmetz als Handwerker stärker sensibilisieren. Ebenso interessieren sich Menschen dafür, ob ein Grabmal aus Mühlviertler Granit oder aus einem Material hergestellt ist, das einen weiten Weg aus Fernost zurückgelegt hat. Ein gestaltender Handwerker hat die Chance, ein Grabmal nicht als industriell gefertigte Ware anzubieten, sondern als ein individuelles Werk mit einer gestalterischen und haptischen Qualität. Auch bei der Beschriftung gibt es viele Möglichkeiten aufzuzeigen. Erfahrene Handwerker finden das angemessene Maß an Gestaltung, ohne einen Stein durch einen zu ausgeprägten  Gestaltungswillen zu überladen. Durch den Dialog mit den Angehörigen, die sorgfältige Wahl und Bearbeitung des Materials und die Konzentration auf ein auf die Persönlichkeit des Verstorbenen abgestimmtes Motiv zeigt sich meines Erachtens die Kompetenz gut ausgebildeter Steinmetzen.

ARGE Urnenhain: Kann jeder Friedhof individuelle Bestattungsformen ermöglichen?

Dr. Martina Gelsinger: Nur die großen städtischen Friedhöfe haben die Möglichkeit, eine Vielzahl verschiedener Bestattungsarten anzubieten. Je kleiner ein Friedhof ist, desto größer ist die Gefahr, dass die Grundstruktur des Friedhofs in zu viele individuelle Einzelbereiche zerfällt. Um das Problem der entstehenden Überhangflächen zu vermeiden, ist die Belegung sorgfältig zu planen. Empfehlung wie sich die freien Flächen nutzen lassen und nicht die vermeintlich schnellste Lösung einer Urnenwand. Es gibt somit viele gestalterische, planerische und organisatorische Fragestellungen, zu denen wir mit dem Praxistag beitragen wollen. Im Vordergrund steht dabei die Suche nach geeigneten Orten und Lösungen für den würdevollen Umgang mit Urnengräbern.

ARGE Urnenhain: Wie ist die Resonanz in den Pfarrgemeinden?

Dr. Martina Gelsinger: Ein Praxistag regt zum Nachdenken über die Aufgaben, aber auch über die Chancen des Friedhofs als pastoraler Ort an. Ebenso ermöglicht er, mit Menschen, die der Kirche weniger nahestehen, Kontakte zu knüpfen. Bei allen Beteiligten sehe ich ein großes Potential, sich mit den Bedürfnissen der Trauernden intensiver auseinanderzusetzen und angemessene Lösungen für deren außergewöhnliche Lebenssituation anzubieten. Hier sind alle Berufsgruppen rund um den Friedhof gefordert.